Geistige und körperliche Arbeit Die kritische Theorie von Alfred Sohn-Rethel
In den 1920er Jahren mit dem Umfeld der Frankfurter Schule
vertraut, aber wegen seiner „spekulativen Gesellschaftskritik“
(Horkheimer) nie ganz akzeptiert, zählt der Philosoph und Öko-
nom Alfred Sohn-Rethel zwar im weitesten Sinne zur Kritischen
Theorie – ganz dazu gehören durfte er aber nie. 1935 flüchtete
er aus dem nationalsozialistischen Deutschland und blieb bis in
die siebziger Jahre im britischen Exil. Auf dem Begräbnis von
Adornos (1969) ermutigte ihn der Verleger Siegfried Unseld,
sein Hauptwerk fertigzustellen und es veröffentlichen zu lassen.
In dem daraufhin erschienenen Buch „Geistige und körperliche
Arbeit“ versucht Sohn-Rethel nichts Geringeres als die Entste-
hung der Erkenntnisphilosophie aus dem historischen Entstehen
der Warenform zu erklären. Oder anders ausgedrückt: Die Ent-
stehung des Kapitalismus ist ein Prozess der Realabstraktion,
der auch die Art und Weise erfasst, wie wir über die Welt den-
ken und diese erkennen zu glauben. Die moderne Denkform, so
Sohn-Rethels These, entsteht überhaupt erst mit der Waren-
form, also der kapitalistischen Gesellschaft. „Geistige und kör-
perliche Arbeit“ ist also ein (der Kritischen Theorie der Frank-
furter Schule nicht unverwandter) Versuch, die marxistische
Gesellschaftskritik mit einer Erkenntniskritik zu verbinden. Un-
mittelbar nach seinem Erscheinen wurde das Buch, das als Ma-
nuskript mehr als 40 Jahre in Sohn-Rethels Schublade ver-
schwunden war, vor allem von undogmatischen Teilen der Stu-
dierendenbewegung breit rezipiert. Heute erscheint das
schwer vorstellbar, ist die Art und Weise wie Sohn-Rethel über
Erkenntnis und Gesellschaft nachdachte doch weitestgehend
aus den Diskussionen, Lesekreisen und erst recht aus den Lehr-
veranstaltungen an der Universität verschwunden. Gerade des-
halb möchten wir uns heute wieder mit Sohn-Rethels Theorie
auseinandersetzen.