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Transparent: Kritisches Denken braucht Zeit und Raum

offener Brief einiger WiMi zur (anstehenden) Räumung der Dondorf-Druckerei

14.12.2023

Offener Brief einiger wissenschaftlicher Mitarbeiter:innen der Goethe-Universität zu den Ereignissen im Rahmen der erneuten Besetzung und bevorstehenden Räumung der Dondorf-Druckerei im Dezember 2023

 

Liebe Studierende, liebe Kolleg:innen, liebe Frankfurter Stadtgesellschaft,

erneut teilen wir Euch und Ihnen unsere Bestürzung und Missbilligung über den Umgang des Präsidiums mit Studierenden der Frankfurter Goethe-Universität mit. Erneut reagiert das Präsidium auf die Besetzung der Frankfurter Dondorf-Druckerei mit einer Strafanzeige und der Androhung polizeilicher Repression.

Zum erstem Mal wurde die Dondorf-Druckerei - eine zum Abriss bestimmte historische Immobilie in Bockenheim - am 24. Juni diesen Jahres besetzt. Die Gruppe der Besetzer:innen, unter denen sich zum Teil auch Studierende der Goethe Universität befanden, wurden damals nach kurzer Duldung gewaltvoll polizeilich geräumt. Am 09. Dezember 2023 besetzte das Kollektiv „Die Druckerei“ das Gebäude nun ein zweites Mal - und findet die Räume in einem desolaten Zustand vor: die Räume des historischen Gebäudes sind zum Teil ausgebrannt, Müll liegt herum, Heizkörper sind aus den Wänden gerissen. Als Gründe für die Besetzung nennt das Kollektiv die bereits seit der ersten Besetzung bekannten und in der Frankfurter Stadtgemeinschaft rege diskutierten folgenden Punkte: (1) Eine Weiternutzung des Gebäudes ist klimaverträglicher als dessen Abriss und der Neubau eines Gebäudes für das Max-Plank-Institut auf dem Gelände. (2) Das Gebäude ist Teil jüdischer Geschichte in Frankfurt und müsse daher nicht zuletzt aus erinnerungspolitischen Motiven erhalten bleiben. (3) Der Raum soll als ein selbstverwalteter Ort und Klimabildungszentrum für Frankfurter:innen nutzbar werden.

Das Präsidium der Goethe-Universität duldete die Besetzung im Sommer zunächst und nahm an einem ersten Verhandlungsgespräch teil. Weitere Gespräche wurden gemeinsam von allen Beteiligten vereinbart. Die Goethe-Universität brach den Dialog allerdings ab und erstattete unter Berufung auf ihr Hausrecht Anzeige gegen die Besetzer:innen. Infolgedessen wurde die Druckerei am frühen Morgen des 12.07.2023 zum ersten Mal von der Polizei gewaltsam geräumt. Auch eine anschließende Demonstation am selben Abend wurde von der Polizei unter Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray davon abgehalten, das Campus-Gelände im Westend zu betreten.

Nach der erneuten Besetzung vor einigen Tagen gab es am Tag der Besetzung eine Duldung, unmittelbar danach stellte die Goethe Universität jedoch erneut einen Strafantrag und die Besetzer:innen befürchten zu jeder Zeit eine erneute Räumung durch die Polizei. Trotz erster Signale der Solidarität (unter anderem von Linken, Grünen und SPD im Frankfurter Römer) und erster kurzer Gespräche zwischen den Besetzer:innen und der Universität setzt letztere offenbar auf eine schnelle Räumung.

Die Universitätsleitung gibt an, ihr seien die Hände gebunden, die Besetzung sei illegal und dies wiederum könne nicht ungeahndet toleriert werden. Eingedenk der Frankfurter Schule, mit deren Prestige sich die Universität an anderer Stelle gern schmückt, sehen wir uns als wissenschaftliche Mitarbeiter:innen nun in der Verantwortung, an die Einsicht der Kritischen Theoretiker:innen zu erinnern, dass Rechtsverhältnisse stets Herrschaftsverhältnisse wiederspiegeln. Diese kritisch zu hinterfragen und durch sie legitimierter Gewalt entschieden entgegenzutreten sehen wir als Teil des gesellschaftlichen Auftrags einer Universität.

Wir als wissenschaftliche Mitarbeiter:innen und Teil dieser Universitätsgemeinschaft sowie als Teil der Frankfurter Stadtgesellschaft sind verständnislos angesichts der bisher getroffenen Entscheidungen des Präsidiums.

Nach Außen hin präsentiert sich die Goethe-Universität als eine Instanz des öffentlichen Dialogs, der demokratischen Aushandlung von Meinungs-verschiedenheiten, und mit der Fähigkeit beseelt, von der eigenen Position zu abstrahieren und, damit einhergehend, manchmal vielleicht sogar das eigene Interesse hinter anderen Interessen zurückzustellen. Schauen wir indes nach Innen, so erleben wir etwas anderes: auf Interessenskonflikte wird mit Gewalt reagiert, demokratische Prinzipien werden ersetzt durch das Recht des Stärkeren, Kritik wird mittels Strafanzeigen mundtot gemacht. Es scheint, dass sich das Präsidium einem autoritären Zeitgeist unterwirft, anstatt eine demokratische Universität zu kultivieren.

Mit Unverständnis und Erschrecken erlebten wir, wie sich - nach der gewaltsamen Räumung eines durch Klimaaktivist:innen besetzten Hörsaals vor einem Jahr und der Dondorfer-Druckerei im Sommer - die Leitung der Goethe-Universität abermals, entgegen der eigenen Selbstdarstellung, explizit gegen eine dialogische Aushandlung entscheidet. Anstatt einen Konflikt - mit nicht zuletzt den eigenen Studierenden – politisch zu führen, wird er in dieser wiederholten Androhung von staatlicher Gewalt mittels Repression und Räumung zu leugnen versucht.

Wir wollen Ihnen, liebe Studierenden, unsere Solidarität ausdrücken und Ihnen beipflichten, dass die Studierendenschaft bei der Gestaltung der Goethe-Universität mit einbezogen werden muss. Verstärkt wird dieses Bedürfnis nach Selbstverwaltung und Gestaltung nicht zuletzt durch die zunächst immer weiter verschobene und dann gescheiterte Planung eines neuen Studierendenhaus auf dem Westend Campus.

Wir sind davon überzeugt, dass die Universität für alle ein Raum ohne polizeiliche Gewalt sein muss, und distanzieren uns von den Entscheidungen einer erneuten Räumung der Universitätsleitung. Wir wollen Sie, liebe Kolleg:innen, zu einer gemeinsamen Aufarbeitung des Geschehens einladen und einen Dialog darüber anstoßen, was für ein Raum die Goethe-Universität für Studierende und für uns sein soll.



Einige wissenschaftliche Mitarbeiter:innen der FB 03, 08, 10, 11