Direkt zum Inhalt
Transparent: Kritisches Denken braucht Zeit und Raum

Das Institut für Sozialfälschung. Siegfried Kracauers Kritik der Frankfurter Schule

19.05.2023

Vortrag mit Ansgar Martins am Mo., 05.06.23, 18 Uhr ct, im Raum NG.731 (IG-Fraben Nebengebäude)

So alt wie die kritische Theorie ist der Vorwurf, dass sie verraten und verkauft wurde. Schon 1936 empörte sich Siegfried Kracauer gegen Max Horkheimer und Friedrich Pollock, die „nicht mehr für den kämpfenden Marxismus“ stünden, „dem ursprünglich das Institut dienen sollte“, sondern das von Hermann Weil gestiftete „Goldschiff behutsam an allen derartigen bedrohlichen Klippen vorbei“ lenkten.

Zwei Jahrzehnte später war Kracauer in Frankfurt als journalistischer „Vorläufer“ der kritischen Theorie kanonisiert. Ihn erreichten Briefe von Adorno-Schülern, die ihn wie ein lebendes Pendant zu Walter Benjamin behandelten: als eine Art mystischen Onkel des Instituts für Sozialforschung, der aus irgendwelchen Gründen im fernen Amerika festsitzt, dem Land der Kulturindustrie. Er war bereits zu Lebzeiten archiviert, zu einer legendären Figur aus der Weimarer Republik und damit zum Bestandteil eines Mythos über die goldenen 1920er Jahre geworden, gegen den er selbst ankämpfte und den er als Weg „Von Caligari zu Hitler“ kritisiert hatte.

Diese historischen Streitigkeiten und Kolportagen sind mehr als bloß anekdotisch ergiebig. Denn sie begleiteten eine andauernde Auseinandersetzung darüber, wie Kritik zu üben ist, wie sie dennoch in Ideologiebildung verstrickt ist, und wie sich die Erfolgsgeschichte der „Frankfurter Schule“ auf das Denken ihrer Protagonisten auswirkte. 

 

Ansgar Martins ist Research Fellow am Franz Rosenzweig Minerva Research Center for German-Jewish Literature and Cultural History, Hebrew University Jerusalem. 2016 erschien sein Buch Adorno und die Kabbala (engl. Übers. 2020), gerade arbeitet er an einem Promotionsprojekt mit dem Titel „‘Um Himmels willen nicht vom Materiellen ablenken‘: Religion bei Siegfried Kracauer“.